Sonntag, 26. Februar 2012

Über den Kontrast von Arm und Reich

So jetzt wird es mal wieder Zeit, dass ich euch schreibe. Ich bin nun schon ein halbes Jahr in Kolumbien. Die schlechte Nachricht: Ich bin nur noch ein halbes Jahr hier! Die gute Nachricht: In einem halben Jahr komme ich schon wieder! Ich freue mich schon euch wiederzusehen, deutsches Brot zu essen, Sprudelwasser zu trinken, zu einem Friseur zu gehen (den kolumbianischen Friseuren vertraue ich hier nicht), Klopapier in der Toilette runterzuspülen, ein Tag ohne Moskitos und Kakerlaken, in meinem Einzelzimmer in einem  bequemen Bett zu schlafen und vor allem einmal durch die Straßen zu laufen, ohne dass die Männer mir Beachtung schenken. Aber genauso werde ich auch einige Sachen vermissen, wie z.B. die Möglichkeit jeden Tag ans Meer zu gehen und dort einen wunderschönen Sonnenuntergang zu beobachten, die Wärme, die vielen leckeren Früchte und Fruchtsäfte, die die Hilfsbereitschaft, Herzlichkeit und Gelassenheit der Kolumbianer, die Musik und die lieben Menschen, die ich bisher kennenlernen durfte. Und vor allem, dass an jedem Tag etwas Neues und Unerwartetes geschieht.

So waren wir Letzt im Armenviertel und ich durfte Zeit mit den Kindern verbringen. Sie wollten Seilspringen spielen. Nach einer Weile kamen sie mit einem langen mürben harten Stromkabel an, das sie sich beim Springen teilweise absichtlich gegen die nackten Füße schlugen. Als ich dann das schwere Kabel schwingen durfte, hat die mürbe Isolation meine Handinnenflächen aufgerieben, was ein zwar nicht so schlimmes, aber etwas blutiges Ende nahm. Kurz darauf wurde mir ein Leguan Schwanz präsentiert, den Leguan ohne Schwanz durfte ich mir dann auch anschauen! An diesem Tag ist mir auch ein kleiner Junge begegnet, der eine Taube gefangen hatte und ihren Kopf hin- und her bog. Ich konnte mir das kaum mitansehen und bat ihn das Tier freizulassen. Er antwortete nur: „Das ist mein Abendessen!“
Ich habe mich schon an solche Situationen gewöhnt. Auch, dass die Mädchen verlaust sind und mit mir „Stille Post“ spielen wollen, ist nichts Ungewöhnliches mehr oder mit ihren verschwitzten und dreckigen Händen meine Haare flechten. Man sagt ja immer, dass solche Dinge einen später mal weiterhelfen werden. Bei was mir das genau helfen wird, habe ich noch nicht herausgefunden. Aber ich hoffe, dass das alles einen Sinn hat, auch wenn es nur ist, dass sich die Kids in diesem Moment gefreut haben.

Im Kontrast zu dieser Welt des Armenviertels, bekomme ich auch immer mal wieder die Welt des Reichtums zu spüren. So durften wir (2 befreundete Freiwillige und ich) gestern -dank einiger Beziehungen- an einem Benefizkonzert teilnehmen. Wir wussten nur, dass es auf einem Schiff stattfinden würde; dass es auf einem riesigen Kreuzfahrtdampfer war, hat uns aber keiner gesagt! Wir wurden von der Crew persönlich begrüßt und wurden durch endlos lange Gänge in einen akklimatisierten Raum geführt, das sowohl über eine Sternendecke, als auch über einen Buttler verfügte, der um unser Wohl besorgt war. Die erste halbe Stunde hatten wir ein Dauergrinsen auf unseren Gesichtern, weil wir so überfordert waren von dem ganzen Luxus, der Ausstattung und dem Ambiente. Der Abend war wunderschön und ich weiß jetzt endlich wie es auf dem „Traumschiff“ aussieht, das mir aus Kindertagen aus dem Fernseher in Erinnerung geblieben ist und ich damals mehr oder weniger gezwungen war es jeden Sonntag mit meinen Eltern anzuschauen. Nur die Torten mit den Wunderkerzen haben gefehlt! Später sind wir dann durch eine Anlage zurückgelaufen, wo uns ein Reh verfolgt hat. Dort durften wir uns rosafarbene Flamingos und Papageie anschauen. Natürlich haben die Kakerlake und die Ratte nicht gefehlt!

Diese krassen Kontraste von Arm und Reich, die ich hier im extremen Maße hautnah miterlebe, geben mir zu denken. Wenn 20 Meter vor einem riesigen Shoppingcenter ein Mann ohne Bein auf dem dreckigen Boden sitzt und um sein Lebensunterhalt bettelt oder Kinder in unser Projekt kommen, die zuhause manchmal kein Essen bekommen, dann zeigt mir das auf der einen Seite wie gut es uns doch eigentlich geht und wie undankbar wir trotzdem sind! Und auf der anderen Seite frage ich mich was man an all dem ändern könnte. Doch ich denke Veränderung muss in jedem Einzelnen anfangen und jeden Tag aufs Neue anfangen.